Interview mit Finn, 17 Jahre, Stipendiat aus Thüringen
Finn, dein Auslandsabenteuer begann erst einmal mit einer ziemlich umfassenden Bewerbung. Dazu war auch ein Motivationsschreiben erforderlich. Wie hast du den Bewerbungsprozess angepackt?
Als ich den Auftrag bekommen habe, ein Motivationsschreiben zu verfassen, ist in den ersten zwei Wochen eigentlich wenig passiert. Wenn man es genau überlegt, ist sogar gar nichts passiert. Ich war komplett überfordert und wusste überhaupt nicht, wo ich anfangen soll. Allmählich bin ich in Panik verfallen, da ich nicht mehr so viel Zeit hatte und immer noch nichts geschrieben auf meinem Bildschirm zu lesen war. Deshalb habe ich dann einfach damit begonnen darüber nachzudenken, warum ich eigentlich ins Ausland möchte, wie der Name des Dokumentes schon verrät, meine Motivation. Da ist mir aufgefallen, dass ich das gar nicht so genau wusste. Vielleicht brauchte ich einfach mal eine Pause vom normalen Schulalltag, vielleicht wollte ich vor meinen Pflichten flüchten, vielleicht wollte ich einen ausgedehnten Urlaub weit entfernt von jeglicher Art von Familie und Freunden? Nein, das war es nicht. Wenn man mit solchen Motivationen ein Auslandsjahr bestreiten möchte, würde ich jedem, der so denkt, empfehlen, es erst gar nicht zu versuchen. Wenn ich meine Motivationen in einem Wort zusammenfassen würde, wäre es Neugier. Ich wollte einfach mal etwas jenseits meines normalen Alltags erleben, meinen Horizont erweitern, mich als Mensch weiterentwickeln, eine bessere Version meiner selbst werden. Ich wollte einfach gesagt unabhängiger werden und mich für mein baldiges Erwachsensein wappnen. Außerdem wollte ich eine andere Kultur kennenlernen und eine neue Sprache beherrschen, oder sie wenigstens auf eine alltägliche Weise zu verstehen.
Finnland war von vornherein dein Wunschziel. Weshalb?
Ich interessiere mich schon lange besonders für die nordischen Länder und fand vor allem die Kultur und Landschaft ansprechend mit den vielen Seen, wilder Natur, viel Fisch und verrückt klingenden Sprachen. Das Schulsystem war auch ein wichtiger Punkt meiner Motivation. Wie ich aus unzähligen Medienberichten wusste, sind die Systeme im Norden deutlich besser als bei uns.
Und nach einigen Monaten war es dann so weit. Mit welchem Gefühl bist du zu Hause gestartet, als es endlich losging?
Um es kurz zu fassen: Es gab kein besonderes Gefühl. Es gab weder Vorfreude noch Ehrfurcht. Ich habe die große Veränderung meines Lebens einfach so hingenommen, da es nichts gab, wo vor ich mich fürchten müsste.
Die letzten Tage habe ich genutzt, um mit meiner Familie noch einmal meine Lieblingsmahlzeit zu essen, mich mit meinem Mentor zu treffen, der mir einige Bücher für die Reise geschenkt hat, meine Freunde noch einmal zu sehen und ein letztes Mal in diesem Jahr meine Lieblingsbücher zu lesen und meine Lieblingsfilme zu schauen.
Wie war dein erster Eindruck nach der Ankunft?
Meine Familie hat mich am Bahnsteig mit einem großen Schild empfangen. Auf dem Heimweg sind mir dann während der Fahrt zuerst einmal die vielen Bäume aufgefallen. Und natürlich die finnische Sprache, die schon eine Herausforderung ist.
Der Wohnort meiner Gastfamilie ist sehr viel kleiner als der Ort, aus dem ich komme. Alles, was man so zum Leben braucht, findet man gewissermaßen nebenan. Die Familie hat mich sehr herzlich aufgenommen. Sie haben mir viele Fragen gestellt, obwohl ich anfangs recht wenig verstanden habe, da sowohl mein Finnisch als auch ihr Englisch nicht besonders gut waren. Mein Gastvater hat andauernd Witze erzählt.
Was waren die größten Herausforderungen, die du bisher während deines Auslandsaufenthaltes meistern musstest?
Ganz offensichtlich ist da zunächst die fremde Sprache. Mein ältester Gastbruder und mein Gastvater können halbwegs Englisch sprechen, bei den restlichen Gastgeschwistern und meiner Gastmutter sah das aber schon ganz anders aus, während ich nur danke, ja und nein auf Finnisch sagen konnte. Seit September mache ich einen Finnischkurs, meine Sprachkenntnisse haben sich jedoch kaum verbessert. Ich verstehe jetzt deutlich mehr, das Sprechen fällt mir dennoch stets schwer. Die Kultur kennenzulernen und mich einzuleben fiel mir jedoch nicht so schwer. Nur an das Essen habe ich mich bis heute nicht gewöhnt. Das Nahrungsangebot ist nicht so umfangreich wie in anderen Kulturen und auch Gewürze sind hier eher ein Fremdwort. Zum Glück mag mein Gastvater scharfes Essen, weshalb immer eine scharfe Soße oder Knoblauch zur Verfügung steht. Die Backwaren andererseits sind sehr gut. Am schwierigsten war es, mich daran zu gewöhnen, jetzt 5-mal am Tag zu essen.
Die größte Herausforderung ist es, Freunde zu finden. Die Finnen sind sehr introvertiert und schüchtern und das trifft auch auf mich zu. Keine optimalen Voraussetzungen! Deswegen verbringe ich den größten Teil meiner Zeit mit meiner Gastfamilie, was aber völlig in Ordnung ist, denn wir haben viel Spaß und unternehmen viel.
Wie läuft dein Alltag in der Schule ab?
Die Lehrer sind viel freundlicher und lockerer als in Deutschland. Alles läuft geordnet ab. Es gibt kein Klingelzeichen, dennoch kommen alle Schüler rechtzeitig. Wenn jemand fünf Minuten zu spät kommt, ist es auch kein Problem.Toilettenbesuche sind rund um die Uhr gestattet und man darf sogar im Unterricht essen. Der Großteil des Unterrichts wird mit dem Laptop absolviert. Das gilt auch für Arbeiten. Anders als in Deutschland gibt es keine Halbjahre, sondern Perioden. Jede Periode dauert sechs Wochen. In der 7. Woche werden Prüfungen geschrieben. Nach einer Periode ändern sich die Kurse, welche man besucht. Diese kann man größtenteils selbst auswählen. An meiner Schule werden viele Kurse auch in Englisch angeboten. Eine Stunde dauert 75 Minuten. Auf diese folgt eine 15-minütige Pause. Die Essensversorgung ist kostenlos. Es gibt Clubs, welche für jeden Schüler verpflichtend sind. Den Club selbst kann man sich aussuchen, beispielsweise das Esports-Team, das Café-Team oder das internationale Team.
Wie der Name schon sagt, bereitet das Café-Team Essen vor, welches dann in unserem Café verkauft wird. Das internationale Team organisiert Aktivitäten für bestimmte Tage wie den internationalen Frauentag, bei dem alle Schüler in lila Kleidung zur Schule kommen sollen. Oft gibt es auch Vorträge oder Umfragen, zum Beispiel über das Wohlbefinden der Schüler oder den Umgang mit Drogen. Die Schule selbst ist mit Aufenthaltsräumen, Sofas, Monitoren und Spiele- und Leseecken ausgestattet.
Bemerkenswert finde ich auch, dass es einen verpflichtenden Universitäts-Informationstag für alle Elftklässler gibt.
Wenn du die letzten Monate Revue passieren lässt, was war dein Highlight bisher?
Mein Highlight ist das Mökki meiner Gastfamilie. Es handelt sich hierbei um eine Hütte, welche sich auf einer kleinen Insel an der Ostseeküste befindet, und die nur von Wald umgeben ist. Alles fühlt sich dort so friedlich an und ich genieße es, in der Natur zu sein und stundenlang zu fischen. Gefangen habe ich zwar noch nichts (zugegeben, das Bild ist gestellt, denn eigentlich handelt es sich um einen Fisch, den mein Gastbruder gefangen hat), das kann sich in den nächsten sechs Monaten aber noch ändern.